Die folgende Interview-Satire schrieb Felix Feigenwinter 1993 aus aktuellem Anlass in Anspielung auf die Schmutzkampagne gegen eine Schweizer Bundesratskandidatin (die dann tatsächlich nicht gewählt wurde) mit Angriffen auf deren Privatsphäre. Um die Unfairness der Vorwürfe zu verdeutlichen und die Attacken auf die Politikerin persiflierend ab absurdum zu führen, erfand er für sein imaginäres Gespräch ein männliches Interviewopfer.

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Herr Bundesrat, es wurde uns vertraulich ein Foto zugespielt, das Sie beziehungsweise Ihr Privatleben in ein zweifelhaftes Licht rückt.

Bundesrat Schweizer (absolut gelassen): Ich nehme an, es handelt sich um eine anonyme Zuschrift.

Da müssen wir Sie enttäuschen. Der Überbringer des Fotos hat Name und Adresse hinterlassen. Er steht zu seinem Vorwurf.

Bundesrat Schweizer (sichtlich verärgert): Ach so. Ein politischer Gegner! Aus der linken oder rechten Ecke?

Der Überbringer des Fotos erklärte, keiner politischen Partei oder Bewegung anzugehören. Es gehe ihm einzig und allein um die Ehre der Eidgenossenschaft.

Bundesrat Schweizer (verächtlich):  Ein Nationalist!

Heisst das, dass Sie selber nicht an der Ehre der Nation Schweiz interessiert sind?

Bundesrat Schweizer: Wie kommen Sie zu dieser abwegigen Annahme!? Seit der Ablehung des EWR bleibt uns ja gar nichts anderes übrig, unser Nationalbewusstsein zu stärken, um international nicht unterzugehen!

Eben. Kommen wir also auf das erwähnte Foto zurück. Es zeigt Sie, Herr Bundesrat, unbekleidet!

Bundesrat Schweizer (entsetzt): Ein Nacktfoto!?

Leider, ja.

Bundesrat Schweizer (murmelnd): Das kann ich mir nicht gut vorstellen.

Wollen Sie damit erklären, Herr Bundesrat, dass Sie sich nie nackt zu betrachten pflegen?

Bundesrat Schweizer: Richtig! Das kann ich auch jederzeit beweisen! In unserem Haus gibt es nur kleine Spiegel, die auf Gesichtshöhe angebracht sind. Sie können meine Frau fragen…sie wird es Ihnen bestätigen! Sie können auch jederzeit eine Hausvisitation vornehmen, wenn Sie es wünschen. Nach vorheriger Absprache mit meiner Frau selbstverständlich.

Aber darum geht es doch gar nicht, Herr Bundesrat. Das fragliche Foto wurde nicht in Ihrem trauten Heim aufgenommen.

Bundesrat Schweizer (nachdenklich): Ach so. Aber ich besuche keine Sauna. Dazu habe ich gar keine Zeit…

Die Aufnahme stammt nicht aus einer Sauna.

Bundesrat Schweizer: Dann bin ich wirklich ratlos. Wo soll ich denn nackt aufgetreten sein? Als Bundesrat habe ich doch gar keine Gelegenheit dazu!

Es handelt sich um eine Ferienaufnahme.

Bundesrat Schweizer: Das ist völlig ausgeschlossen! Meine Ferien verbringe ich mit meiner Frau. Wir unternehmen stets Kulturreisen. In europäische Städte, seit der Beseitigung des Eisernen Vorhangs auch in osteuropäische. Vor drei Jahren reisten wir in den Fernen Osten. Wir spazierten durch Museen, bewunderten Baudenkmäler, besuchten alte Tempel und Kirchen. Da sind Nacktfotos doch nicht möglich!

Das Foto zeigt Sie an einem Strand.

Bundesrat Schweizer: Auch das ist ausgeschlossen! Die einzigen Ferien an den Gestaden eines Sees verbrachte ich in meinem Präsidialjahr. Sie wissen ja, der schweizerische Bundespräsident soll das Land nicht verlassen. Da wanderte ich mit meiner Frau rund um den Aegerisee. Immer wieder, drei Wochen lang. Aber doch nicht nackt! Dazu war es übrigens auch viel zu regnerisch und kühl.

Das fragliche Foto zeigt Sie offensichtlich an einem südlichen Strand. Jedenfalls sind Palmen zu sehen.

Bundesrat Schweizer (leicht errötend): Was Sie nicht sagen! Aber seit ich Bundesrat bin, habe ich, wie gesagt, nie mehr an einem Strand gebadet. Weder im In- noch im Ausland.

Es geht um die Erhellung Ihres vorbundesrätlichen Lebens!

Bundesrat Schweizer: Das ist ja der Hammer! Was hat das mit meiner jetzigen Existenz als Bundesrat zu tun? Man schnüffelt in meinem Vorleben herum, um mich zur Demission zu zwingen? Warum hat sich dieser Moralhüter nicht vor meiner übrigens völlig unbestrittenen Wahl in den Bundesrat gemeldet? Jetzt im nachhinein will er mich überführen? Lächerlich, kann ich nur sagen!

Sie geben es also zu?

Bundesrat Schweizer: Was denn, um Himmels Willen?

Eben, nackt an einem südlichen Strand gestanden zu haben.

Bundesrat Schweizer: Sie wollen mich als Exhibitionisten überführen?

Es geht um Fakten.

Bundesrat Schweizer: Als Nationalrat und auch früher habe ich einige Male an einem südlichen Strand gebadet. Das schon. Ich war in der Karibik in den Ferien. Aber splitternackt? Nein, sicher nicht!

Das Foto zeigt anderes.

Bundesrat Schweizer (unsicher): Was zeigt es denn? Mich nackt? Ohne Badehose? Von hinten oder von vorne?

Von hinten.

Bundesrat Schweizer: Na also. Dann kann es ja nicht so schlimm sein!

Leider doch.

Bundesrat Schweizer (ärgerlich): Man will mir homophile Neigungen unterstellen?!

Keineswegs.

Bundesrat Schweizer: Wie will man überhaupt beweisen, dass ich es bin?

Sie schauen zur Seite. Ihr Gesicht sieht man im Profil. Der Fotograf kennt Sie seit langem. Er hat Ferien in der Karibik verbracht und hat Sie sofort erkannt. Er war ein ehemaliger Wähler von Ihnen. Seit er Sie nackt gesehen hat, ist er’s nicht mehr.

Bundesrat Schweizer: Ein mieser Erpresser. Genug der Geheimnistuerei. Zeigen Sie mir das Bild endlich!

Der Mann hat uns das Foto zur Veröffentlichung angeboten. Sie sind übrigens nicht allein darauf zu sehen.

Bundesrat Schweizer (hold errötend): So, so. Ja, darf man denn nicht mehr zu zweit in die Ferien?

Eine dunkle Schönheit steht neben Ihnen und lacht Sie an. Es ist offensichtlich nicht Ihre Frau.

Bundesrat Schweizer: Ach was. An einem öffentlichen Ferienstrand hat es viele Menschen. Es wird eine Einheimische sein, eine Inselbewohnerin. Ist sie auch nackt?

Nein, sie trägt einen Bikini.

Bundesrat Schweizer: Nun, zeigen Sie mal her!

(Der Interviewer überreicht dem Interviewten das Bild.)

Bundesrat Schweizer: Hm. Hmhm. Und das soll ich sein?

Ja, damals.

Bundesrat Schweizer: Nun ja, da war ich noch jünger. Aber was soll das Ganze?  Ich bin nackt, weil ich die nasse Badehose ausgezogen habe, um meine Shorts anzuziehen. Irgendwo muss man sich umziehen. Es hat nicht überall Umkleidekabinen. Gehen Sie denn nie baden? Ziehen Sie sich nie aus und um?

Oh doch. Aber unsereiner ist nicht Bundesrat. Da liegt der feine Unterschied.

(Diese Satire ist am 1. März 1993 im „Nebelspalter“ erschienen)